Samstag, 28. Oktober 2023

Das verschenkte Herz: Kapitel 4


  Es mussten viele Jahre vergangen sein. Eustace war mittlerweile ein alter Mann geworden. Völlig abgeschieden von jeglicher Gesellschaft hatte er sich ein kleines Habitat geschaffen: gerade das Nötigste, um sich und sein Huhn zu versorgen. Die Kuh, die er im Wald gefunden hatte, war das einzige Lebewesen, dem er noch Zuneigung entgegenzubringen wagte. 


  Es war eine sehr finstere Nacht, der Regen prasselte auf das Dach seines Wagens, als es an seiner Tür pochte. Anfangs wusste Eustace nicht, ob es nicht die Tropfen waren, die dieses laute, unaufhörliche, dumpfe Klopfen verursachten. Doch nach einer Weile hörte er eine Stimme durch den Lärm des Unwetters:
"Hallo! Hallo da drin! Bitte lasst mich ein!"
Eustace erhob sich ein wenig eingerostet - war er mal wieder im Sitzen eingeschlafen - und schlurfte zur Wagentür. Als er sie öffnete, fiel sein Blick auf einen durchnässten, in dunkler Montur gekleideten Mann, der, kaum das er eingetreten war, seinen Hut lüpfe und ihn höflich grüßte:
"Habt vielen Dank, edler Herr! Mein Name ist Abadilus Gnarsazilan und ich habe mich in diesen Gefilden verirrt. Der Regen hat mich überrascht, und auf der Suche nach Unterschlupf sah ich Euren Wohnwagen. Ich bitte Euch, habt Ihr etwas Brot und Suppe, um mich aufzuwärmen? Es soll Euer Schaden nicht sein!"


 Eustace, nach all den einsamen Jahren ungeübt in Konversation, machte eine Geste mit der Hand, damit der Fremde sich am Ofen niederlassen sollte. Er warf einen Holzscheit in die Glut, damit das Feuer wieder entflammt würde, und entfachte die Funken unter dem Kessel, um den Eintopf zu wämen.
"Wir ist Euer wehrter Name, mein Herr?" wollte der Fremde wissen.
"Eustace."
"Es freut mich außerordentlich, Herr Eustace!" sagte der Unbekannte überschwenglich. 
Eustace nickte leicht.
Als der Eintopf dampfte, stellte er dem Fremden eine Schale hin, legte ein paar Scheiben Brot dazu und goss sich selber ein Glas Wurzelbier ein. So saßen sie schweigend, bis der Unbekannte - leise schlürfend und kauend - sein Mahl beendet hatte. Er rieb sich den Bauch, bedanke sich höflich für das ausgezeichnete Essen, und sah Eustace offen und mit leichtem Lächeln an. Eustace schenkte dem Unbekannten ebenfalls ein Glas Bier ein, und so saßen sie einen Moment still. Schließlich sagte Abadilus:
"Ich sehe, ihr lebt alleine hier. Habt ihr nie Gesellschaft? Keine Frau, keine Kinder, keinen Mann?"
"Nein," antwortete Eustace knapp und grimmig.

"Ich kann," sagte Abadilus, "Schmerz in Eurer Stimme vernehmen. Zufälligerweise bin ich in Magie bewandert... wenn man es so nennen mag. Wenn Ihr mir Eure Geschichte erzählt, kann ich Euch vielleicht helfen. Als Gegenleistung für Eure Gastfreundschaft."
Eustace sah ihn prüfend an. Ein bitteres Lachen entrang sich seiner Kehle, doch schließlich seufzte er. Vielleicht war es gar nicht verkehrt, einfach mal über alles zu sprechen? Und was konnte es schon schaden? Egal wer der Fremde war, zur Not wäre er am anderen Morgen einfach verschwunden und alles wäre beim Alten.

Nachdem Eustace seine Geschichte beendet hatte, sah der Fremde ihn mit einem seltsamen Blick an. Ein dunkles Leuchten lag in seinen schwarzen Augen, und das Lächeln um seinen Mund herum wirkte plötzlich verschlagen.
"Morgen früh, wehrter Herr, werdet Ihr mich begleiten. Ich kann in der Tat etwas für euch tun. Und ich verspreche Euch, das sich dann alles für Euch ändern wird."

Eustace gab dem Fremden eine Decke, bedeutete ihm sich auf die Bank legen zu können, und setzte sich wieder in seinen Schaukelstuhl. Hier schlief er doch am liebsten. Und diese Nacht träumte er nicht von dem Drachen. Er träumte gar nichts.


3 Kommentare:

  1. sowas von spannend!!! LG Miro

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Jaaa, ich muss auch weiter lesen, sonst sterb ic vor Spannung! 😨

      Löschen
  2. Wow! Wer ist der Fremde? Der ist schon echt unheimlich! Was will er? Wieso denkt er das Eustace mit ihm kommt?
    Übrigens find ich das Bild mit dem Regen ganz toll gemacht! Das gefällt mir total! 🤩

    AntwortenLöschen

Beliebte Posts

🤩 Wow! 👏 Danke für deinen Kommentar! 🥰