Samstag, 17. Dezember 2022

Verhexte Weihnacht: Kapitel 8

 


8. Schau mir nicht in die Augen, Kleines!

Wir stiegen auf die Treppe und ließen uns in den geheimen Teil des Hauses fahren. Ich muss zugeben, das ich es ebenfalls lustig fand, so eine drehbare Treppe. Vielleicht wäre das was für mein Wolkenschloss, sinnierte ich schwärmerisch. Immerhin liebe ich solche technischen Spielereien.
Dieser Flur war kurz, man hätte sogar sagen können: Flur? Wo? Nach einigen Metern, die wir mit nur einer Taschenlampe beleuchten konnten, standen wir vor einem weiteren Aufstieg. Doch diese Treppe war aus Stein. Das Geländer war metallen, und wenn es gepflegt würde sähe es bestimmt sogar ganz nett aus. Ich will sagen: unheimlich war in diesem Abschnitt des Hauses nichts, außer das wohl nie geputzt wurde. Die Treppe zog sich eine Ewigkeit nach oben hin. Wie schon der erste Aufstieg, verengte auch dieser sich, je höher wir stiegen. Schließlich erreichten wir die oberste Etage, wie es schien. Der Flur breitete sich weit nach beiden Seiten aus, doch es gab hier nur eine Tür, die sich einige Meter weit direkt vor uns befand. Allerdings keine gängige Tür, wieso auch, sondern eine enorm hohe Pforte, deren Türflügel bis unters Dach und weiter zu reichen schienen. Ein steinerner Drache bewachte sie.
"Sollen wir mal nachsehen, was in dem Raum ist?" flüsterte Braka.
Wir nickten einstimmig. Kaum, das wir uns der Tür näherten, öffnete der Drache langsam aber stetig die Augen. Seine wie Stein wirkende Gestalt veränderte sich: es war, als würde er sich wieder in einen lebendigen Drachen verwandeln, als blättere die steinerne Hülle einfach ab. Seine Haut veränderte die Farbe, der Stein wich gänzlich. Als die Augen fast vollständig geöffnet waren, erstrahlte ein grünes, grelles Licht. Es traf Brakas Alchemietasche und fraß ein kleines Loch hinein. Braka sprang mit einem großen Satz zur Seite, doch die grünen Strahlen der Drachenaugen folgten ihm.

"Das gibt's jetzt doch gar nicht!" rief Cowboy. Er bedeutete Braka, ihm die Tasche zuzuwerfen, doch die Laseraugen des Drachens hatten jetzt uns alle im Blick. Wir brachten uns mit einem Hechtsprung hinter den Treppenstufen in Sicherheit. Ganz klein machten wir uns, kauerten uns so geduckt als möglich hinter die Stufen.
"Wie kommen wir jetzt an dem vorbei?" flüsterte Pony.
"Da werde ich mein Bestes versuchen," sagte ich und krempelte mir gedanklich die Ärmel hoch. Ich lugte hinter der Treppe hervor und begann, langsam und ruhig auf den Drachen einzureden.
Als er sprach, klang seine Stimme monoton und kalt. Doch seine Augen waren wieder geschlossen.
"Ihr habt keinen Zutritt zu diesem Saal. Nur die Herrin darf diesen Saal betreten."
"Ja, gut, okay. Aber die Herrin hat gesagt, sie braucht ganz dringend etwas aus diesem... ähm... Saal. Sie will... äh... sie will... also sie will... Wie lange bist du denn hier schon Wächter?"
"Seit vielen Jahrhunderten bewache ich diesen Saal."
"Und macht dir die Arbeit hier Spaß? Gute Konditionen? Feiertagszulage?"
"Du redest Unfug."
"Ja, und dir gefällt das, oder nicht? Höre ich da nicht ein Kichern, das nach draußen will?"
Der Drache begann zu blinzeln.
"Ich hatte einst Spaß am Unfug, das stimmt. Aber das ist sehr lange her."
"Ja, ich weiß, viele Jahrhunderte und so."
"Ja," antwortete der Steindrache. "Ich habe es vermisst."
"Ich könnte dir ja einen Witz erzählen. Und dafür lässt du uns in den Saal."
"Ein Witz..." begann der Drache, "das wäre mal eine Abwechslung."
"Kann mir vorstellen, das es hier ziemlich öde ist. So den ganzen Tag und die ganze Nacht. Immer nur vor der Tür rumstehen..."
"Ja, öde und einsam," stimmte der Drache zu.
"Okay," sagte ich, "dann haben wir eine Abmachung: Witz gegen Zutritt. Also, stehen zwei Kühe auf der Weide. Sagt die eine Kuh: 'Muuuh'. Sagt die andere Kuh: 'Das wollte ich auch gerade sagen!'"
Es dauerte nicht lange, und ein grollendes Geräusch drang aus der Kehle des Drachen. Das war dann wohl sein Gelächter! Er hielt, wie versprochen, die Augen geschlossen und ließ uns passieren.

Was uns hier erwartete, verschlug uns die Spucke. Das war nicht nur einfach ein Saal! Die Wände erstreckten sich so weit in die Höhe, das wir die Decke nicht ausmachen konnten. Sie verlor sich in der Dunkelheit. Zur rechten Seite standen zwei marmorne Throne nebeneinander. Die Wände waren mit Brokat behängt, und auf den Gemälden, die zwischen den Stoffen hingen, waren Abbilder verschiedenster Gestalten: das war wohl eine Ahnengalerie.
Überall im Saal standen verschlossene Kisten und Truhen. Der ganze Raum war übersät von ihnen.
"Was da wohl drin ist?" raunte Pony.
"Kannst du eine öffnen?" wollte ich wissen.
"Das habe ich bereits versucht," meinte Pony, "aber es klappt nicht. Ein starker Zauber liegt darauf."
Braka wühlte bereits in seinem Alchemietäschchen.
"Ich trage diese Tinktur auf," sagte er, "und du versuchst es nochmal."
So gesagt, so getan. Es machte "Klack", und der Riegel einer der Kisten sprang auf. Ich traute meinen Augen nicht, als ich näher trat! Ich zog den Inhalt heraus und hielt ihn hoch:
"Deko und Lichterketten!" rief ich.

Wir öffneten mehrere Truhen, und in allen bot sich der gleiche Anblick: die ganze Dekoration, die aus den Dörfern verschwunden war, fanden wir hier in diesen Kisten. Nur würden wir damit nicht so einfach hinausspazieren können. Denn das war nur das Symptom, wir aber mussten die Wurzel des Übels ausfindig machen.


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