Sonntag, 18. Dezember 2022

Verhexte Weihnacht: Kapitel 9



9. Der Erkundungs-Gang

Ich wollte den steinernen, lachbegabten Wächter noch fragen, wer denn die "Herrin" sei, doch er antwortete mir nicht mehr. Völlig zu Stein erstarrt verharrte er regungslos neben der Pforte.
"Mist, daran hätte ich vorhin mal denken sollen," ärgerte ich mich. "Oder einer von euch!" Bei diesen Worten starrten die Jungs beschämt auf ihre Füße oder in die Luft.
"Vier Köpfe und alle hohl," grinste Brakalasa. Darauf konnte ich nur nicken.
"Dann werden wir jeden Raum durchsuchen müssen," seufzte ich. "Vielleicht finden wir die Herrin des Hauses ja. Jedenfalls wissen wir, das es sich nicht um Kalwarion handelt."
Das sahen wir alle als gutes Zeichen.
So machten wir uns wieder an den Abstieg. Wir entschieden, das jeder eine Tür öffnen sollte, immer der Reihe nach. Wir fanden in den Räumen nichts Spektakuläres: einige Schlafzimmer, ein Badezimmer mit feudaler Ausstattung (auch hier hätte jemand mal ruhig putzen können), eine geräumige Küche, eine kleine Küche, eine Abstellkammer, ein Wohnzimmer, Lesezimmer und lauter solcher Räume, wie es sie in Herrschaftshäusern wohl zu geben scheint. Huiuiui.
Wir stiegen wieder ins Erdgeschoss hinab, diesmal allerdings ohne Besen. Es schien ja niemand zu Hause zu sein. Die Räume auf der Ebene des Hauseingangs boten interessantere Dinge: ein Raum diente lediglich als Aufgang in ein riesiges Gewächshaus, das sich hinter dem Haus erstreckte und von dem aus man wiederum in einen unglaublich großen Garten treten konnte. Einige Pflanzen waren verdorrt und vertrocknet, abgestorben, doch andere blühten und grünten. Alles Pflanzen, wie sie noch keiner von uns je gesehen hatte. Cowboy zückte ein kleines Büchlein, murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, sah uns dann an und nickte.


"Diese Pflanzen sind noch aus Urzeiten. Ich weiß zwar nicht, woher sie kommen und wieso sie sich hier befinden, aber sie wurden vor Tausenden von Jahren für dunkle alchemistische Zwecke verwendet."
"Du meinst, um jemanden zu verfluchen?" fragte Braka hochinteressiert.
"Japp, genau das," nickte Cowboy. "Man nutzte sie für große und weitreichende Zauber."
"Das heißt was genau?" hakte Pony nach.
"Das heißt sogar ganz genau," erklärte Cowboy fachmännisch, "das man mit diesen Zutaten Zauber anfertigen kann, um ein ganzes Land über lange, lange, lange Zeit hinweg ins Unheil stürzen zu können."
Wir wechselten verheißungsvolle Blicke.
"Dann muss es sich um eine mächtige Magierin handeln, unsere wehrte Herrin!" sagte Braka.
Wir nickten allesamt.
"Und mit so einer müssen nun wir uns anlegen," grinste Pony. "Das macht bestimmt Spaß!"
Cowboy warf ihm einen mahnenden Blick zu, aber auch ich konnte mich eines Grinsens nicht erwehren.
"Dann wollen wir mal weitersuchen," seufzte Braka.
Natürlich hatte Cowboy sich einige der Pflanzen geschnappt: das bläulich schimmernde Whovianium, die "Immerflüßternde Alraune", das schwarz glitzernde Deadmortium, den "Klauenfüßigen Harzwurz", die orangefarbene Schlangensohle und andere abnorme und unheimlich wirkende Pflanzen und Kräuter. Sogar einige Samen konnte er finden, die er flugs in seinem Hosensäckel verschwinden ließ.

In einer weiteren der interessanten Räumlichkeiten stießen wir auf eine beeindruckende Menge an Büchern. Aha, eine Bibliothek! Die meisten Bücher zählten zur gängigen Literatur: hier und da ein Kriminalroman, ein paar Groschenromane, ein paar Liebesschnulzen - Trivialliteratur eben. Doch einige Bücher waren versiegelt. Das heißt natürlich nicht, das sie mit einem Schloss abgeschlossen waren, nein, sie waren mit Zaubersprüchen versiegelt worden. Pony strengte sich extrem an, doch er konnte kein einziges der Bücher öffnen. Die Zauber, die darauf lagen, waren von ungeheuerlicher Kraft und Intensität.


"Das sind alles Zauber," klärte er uns auf, "die schon sehr alt sind. Solche Zauber werden heutzutage gar nicht mehr verwendet. Ich wüsste nicht, das ich überhaupt jemals einem solchen Spruch begegnet bin."
"Mich würde schon interessieren, was da so drin steht," sagte Braka etwas enttäuscht und kickte trotzig mit dem Fuß in die Luft. Da waren wir uns alle einig.
"Und es gibt keine Möglichkeit, die Bücher zu entzaubern?" wollte ich wissen.
"Wenn wir alle etwas in einen Zauber stecken, etwas Persönliches, könnte es klappen. Aber selbst dazu benötigen wir eine Menge Zeit, und die haben wir nicht," meinte Pony, und auch hier waren wir uns wieder einig. "Vielleicht finden wir ja später noch eine Möglichkeit, hier etwas zu bewirken."

Etwas enttäuscht verließen wir diesen wirklich spannenden Schauplatz und wandten uns einem anderen zu: einem Raum, in dem es nichts gab. Es war ein eher kleiner Raum, und er war einfach leer. Wir wollten ihn gerade betreten, als Braka uns mit ausgestreckten Armen daran hinderte.
"Moment!" rief er leise. "Das ist eine Falle!"
"Wie das?"
"Er hat recht!" sagte Pony jetzt. "Der Raum ist nicht leer! Alles hier drin ist unsichtbar!"
"Und wo ist da die Falle?"
"Naja, wir können ja nicht sehen, was sich hier drin befindet. Außerdem kann ich spüren, das es hier einen Auslöser gibt. Wenn wir ihn betätigen, werden wir entweder auch unsichtbar oder alles andere wird wieder sichtbar."
"Oder beides... " murmelte ich.
"Also weg hier oder spielen gehen?" wollte Braka schelmisch wissen.
"Wir sollten es erkunden, aber dazu bräuchten wir eines deiner genialen Pülverchen, lieber Braka," sagte ich augenzwinkernd.
Es war immer wieder faszinierend, Braka bei der Arbeit zuzusehen. Die Sprüche, die er im Kopf abrief um nach dem passenden zu suchen, waren so zahlreich, das es oftmals eine halbe Ewigkeit dauerte, bis er sein Kinn rieb und sagte: 'Ich hab's!'
So auch jetzt. Nach endlosem Däumchen drehen hatte Brakalasa ein Mittelchen geschaffen, das er nun mit einem leisen Zauberspruch in die Luft blies. Und für einen kurzen Moment flackerte etwas an der Wand neben der Tür auf. Kurz darauf ging dieses Flackern reihum. Überall blitzte und blinkte es. Es sah aus wie eine Schaltfläche, die sich nun zeigte. Jetzt schaltete Pony sich ein: mit seinen gewohnt schlängelnden, in der Luft zeichnenden, mit den Fingern wackelnden Gesten gab er eine Beschwörungsformel zum Besten. Und siehe da: die Schaltfläche wurde vollständig sichtbar. Aber nicht nur eine: sie reihten sich dicht an dicht!
"Spiegel!" rief Pony entsetzt.
"Och nö, auch das noch!" Braka trat wieder in die Luft, als kicke er ein imagnäres Steinchen von sich fort.
"Man kann wohl einen Farbcode eingeben," brummte Cowboy.
"Jaaa," sagte ich, "den wir jetzt wie rausbekommen? Und dann in welche der Schalttafeln eingeben?"
Wieder murmelte Braka etwas vor sich hin, während Pony eine seiner Zaubergesten in die Luft malte. Einige der Eingabefelder leuchteten für einen kurzen Moment auf. Leider aber spiegelten sie sich wider. Doch die Spiegel lagen sich nicht glatt gegenüber, nein, sie waren verwinkelt. Manche zeigten mehr nach oben, andere strahlten nach unten, wieder andere einen Tick mehr nach links oder rechts.
"Also Blau, Grün, Gelb, Orange und Weiß," merkte Braka an, "aber welche Reihenfolge?"
Und wieder war es an Pony, uns hier weiterzuhelfen. Durch seinen Zauber gelang es, das die Farben in der richtigen Reihenfolge aufleuchteten und wir den Code eingeben konnten. Aber wo? Welche dieser Schaltflächen war wohl die richtige, die echte?
Wir berieten einen Moment und kamen letztendlich zu dem Schluss, das wir die Lösung in die erste Schaltfläche eingeben sollten, die sich uns gezeigt hatte: also eben jene neben der Tür. Und so versuchten wir es. Doch unser Versuch schlug fehl, und ein schrilles, kurzes Piepen ertönte. Es hörte sich an wie ein... wie ein... Ich hatte das doch schon mal gehört... wo nur?
"Ein Countdown! Alle runter!" rief ich... gerade rechtzeitig genug, das uns der Strahl einer der anderen Schaltflächen nicht treffen konnte. Alles reflektierte hier, und auch wir waren hundertfach zu sehen. Eine Beinahe-Unendlichkeit, die hier im Raum für Verwirrung sorgte. Für viel Verwirrung und auch Denkarbeit. Wir mussten gedanklich jonglieren, um hier einen Treffer landen zu können.
"Wir wäre es, wenn wir von dieser Schaltfläche ausgehen," schlug Cowboy vor, und deutete mit dem Finger auf die Fläche neben der Tür, "und dann in die gegenüberliegende die nächste Farbe eingeben? Danach wird diese wieder in einem anderen Spiegel reflektiert, und wir geben dort die dritte Farbe ein. Etcetera."

So machten wir es. Im ersten Augenblick geschah nichts, aber es ertönte auch kein Piepen. Und mit einem Mal formte sich aus dem unsichtbaren Nichts eine Falltür.


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